Interview mit dem Bamberger Immobilienexperten Andreas Jakob (EVERNEST)
Ja, es gibt in Deutschland eindeutig zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Die Ursachen und Verantwortlichen dafür werden in der Öffentlichkeit – sowohl in privaten Kreisen als auch von den Oppositionsparteien im Bundestag – bei den Regierungsparteien gesucht. Das kann man tun, doch insbesondere die aktuelle Regierung ist noch zu kurz im Amt. Daher kann sie noch keine messbaren Ergebnisse vorweisen. Zudem gibt es zahlreiche Parameter, die sich politisch kaum oder nur sehr langsam beeinflussen lassen.
Darüber sprach ich mit Andreas Jakob. Er ist ein profunder Kenner des Immobilienmarktes. Von 2010 an leitete Andreas Jakob das Bamberger Büro von Engel & Völkers. Im Bereich Verkauf und Vermietung privater Immobilien hat er sein Spezialgebiet bestens bedient. Dank seines großen Netzwerks, gerade in der Wirtschaft, hat er sich zusätzlich einen bedeutenden Namen im Segment der gewerblichen Immobilien und Kapitalanlagen gemacht.
Nachdem sich der Immobilienmarkt in seinen Strukturen weitgehend verändert hat, schaute sich Jakob nach neuen Partnern mit neuen Ansätzen und Ideen um. In EVERNEST fand er einen starken Partner mit einem Lizenzmodell. Dieses Modell wird in vielen Punkten einem modernen Franchisesystem gerecht. Das Unternehmen bietet insbesondere in den Bereichen Marketing, Digitalisierung und neuen Medien – etwa über eine eigene App – zusätzliche Akquise- und Vertriebsmöglichkeiten. Anfang des Jahres wurde der Wechsel von Engel & Völkers zu EVERNEST vollzogen. Es werden aber nicht nur Häuser und Wohnungen verkauft. Man kann über EVERNEST auch Immobilien mieten – je nach Lage und Größe zum Teil schon ab 500 € Kaltmiete.
van Elk: Herr Jakob, täglich wird aufs Schärfste kritisiert, dass die Regierungsparteien viel zu wenig tun, um den Bedarf an bezahlbaren Immobilien gerade für die private Nutzung zu decken. Ist die Kritik berechtigt?
Jakob: Natürlich kann die Bundespolitik an diversen Stellschrauben drehen, um die Preise beim Bau und der anschließenden Vermietung von bezahlbarem Wohnraum zu drücken. Zunächst sollte man aber aufzeigen, dass sich durch die Veränderungen von Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen der Mieter einiges im Markt derart verändert hat. Es gibt auch Interessenverschiebungen der Vermieter. Hier hat der Bundestag erst einmal kaum Einflussmöglichkeiten. Ich möchte dies an drei Beispielen verdeutlichen:
Singlehaushalte: Gab es 1980 etwa 30 Mio. Haushalte, von denen etwa 31,3 % oder rund 9,4 Mio. Singlehaushalte waren, so gibt es aktuell etwa 42,65 Mio. Haushalte, von denen etwa 42 % oder 18 Mio. reine Singlehaushalte sind. Über die Strecke von 45 Jahren hinweg bedeutet das eine Steigerung der Einpersonenhaushalte von über 90 % bzw. ca. 200.000 pro Jahr.
Krisenzeiten: In den aktuell schwierigen Zeiten mit zahlreichen Krisen schrecken viele potenzielle Bauherren davor zurück, ihr Kapital in Wohnraum zu investieren. Sie wissen nicht, ob und wie sich der Ukraine-Krieg ausweiten könnte. Zudem haben sie keine Planungssicherheit bei den aktuell ohnehin hohen Zinsen und können nicht abschätzen, was sich die Europapolitik in Brüssel im Rahmen des Umweltschutzes – z. B. hinsichtlich energetischer Maßnahmen – noch einfallen lässt.
Mieterverhalten: In meiner Erfahrung zeigt sich, dass immer mehr Mieter von preiswertem Wohnraum immer weniger Respekt vor dem Eigentum anderer haben. Die Wohnungen werden beim Auszug häufig in auffällig schlechterem Zustand hinterlassen, als es in früheren Jahren der Fall war. Je niedriger die Mieten, umso höher der Reparatur- bzw. Instandsetzungsaufwand – das lässt sich so konstatieren. Daraus ergibt sich, dass Vermieter vielfach höhere Rücklagen für Instandhaltung bzw. -setzung bei der Vermietung ihrer Immobilien einpreisen.
van Elk: Häufig ist zu hören, dass einerseits viele Menschen aus ländlichen Gegenden in die Stadt ziehen, und gleichzeitig gibt es Äußerungen dahingehend, dass es umgekehrt sei. Was stimmt denn nun?
Jakob: Tatsächlich stimmt beides. Junge Menschen bzw. junge Familien können häufig die hohen Mieten nicht leisten. Sie suchen sich stattdessen günstigeren Wohnraum auf dem Land. Gleichzeitig verkaufen ältere Menschen ihre Immobilien auf dem Land. Sie ziehen selbst in die Stadt – meist aus Komfort- oder Gesundheitsgründen.
van Elk: Bevor wir gleich zu den Neubauten kommen, stellt sich mir noch die Frage, warum gerade in historischen Städten wie Bamberg nicht mehr von den wunderschönen Altbauten als bezahlbarer Wohnraum hergerichtet werden. Hier sehe ich doch sehr häufig den Verfall wirklich toller Häuser.
Jakob: Das kann man nicht pauschal beantworten; der Denkmalschutz spielt dabei eine große Rolle. Häufig werden Architekten oder Bauträger von außerhalb beauftragt. Diese kennen die örtlichen Gegebenheiten und Abläufe nicht. Auch verfügen sie oft nicht über die nötigen Kontakte. Dadurch werden Anträge oft abgelehnt oder verzögert. Eine enge Abstimmung zwischen Eigentümern, Behörden und Fachleuten ist entscheidend, um solche Projekte erfolgreich umzusetzen. Es gibt zudem Eigentümer, die wegen der hohen Kosten kein Interesse an der Sanierung haben.
van Elk: Jetzt kommt wahrscheinlich die breite Palette des Bürokratismus ins Spiel. Wie weit trägt dieser denn tatsächlich dazu bei, dass bezahlbarer Wohnraum nicht im erforderlichen Maße gebaut bzw. durch Sanierungen von Altbauten zur Verfügung gestellt werden kann?
Jakob: Das ist wahrlich ein sehr komplexes Thema – man könnte darüber ein ganzes Buch schreiben. Einige Punkte möchte ich dennoch gern anführen.
Altbauten zu sanieren und dabei die gesetzlich vorgegebenen Vorschriften für energetische Maßnahmen zu berücksichtigen, ist planungstechnisch extrem aufwendig und in der Umsetzung kaum zu bezahlen. Auch die Vorschriften hinsichtlich bereitzustellender Parkplätze oder die Berücksichtigung aktueller Brandschutzvorschriften können Hemmnisse darstellen. Ist das Fenster in der Dachgaube zu klein, kann die Feuerwehr schon aus diesem Grund den Ausbau des Dachbodens zu einer Studentenwohnung ablehnen.
Auch bei Neubauten sehen sich Investoren für Mietwohnungen mit vielen Hürden konfrontiert. Die Planungen und Genehmigungen sind äußerst zeit- und nervenaufreibend. Extrem hohe Grundstückskosten lassen günstigen Wohnungsbau illusorisch werden. Bauliche Vorschriften könnten ganz bestimmt an einigen Stellen erheblich aufgeweicht werden. Vielerorts sollte darüber nachgedacht werden, ob „bezahlbar“ nicht vor dem „Erscheinungsbild einer Straße oder Siedlung“ stehen sollte.
Ein weiteres Problem bei den aktuellen Kaufpreisen sind die hohen Zinsen. Damit sich eine Kapitalanlage in vermietete Immobilien lohnt, muss sie bei den derzeitigen Zinssätzen eine Rendite von rund 6 bis 6,5 Prozent abwerfen. Gleichzeitig sind jedoch die Preisvorstellungen vieler Eigentümer nach wie vor zu hoch und zu weit vom realistischen Marktgeschehen entfernt.
Letztlich – und das ist mein Fazit – müssen dringend neue steuerliche Anreize durch die große Politik in den Ring geworfen werden. Egal, ob für energetische Maßnahmen, zur Subventionierung von Zinssätzen oder zur Reduzierung von Steuern beim Grunderwerb bzw. der Mehrwertsteuer bei Neubauten: Ohne derartige Maßnahmen wird sich die derzeitige Situation nicht kurzfristig ändern.
van Elk: Herr Jakob, ich danke Ihnen sehr für dieses Interview. Zumindest für mich ist es sehr interessant, diesen Einblick über die Defizite bei der Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums zu bekommen.
Das Interview führte Dirk van Elk
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